Mittwoch, 21. Januar 2015

Mehr zum Setting


MÜNCHEN 2072 
Ein näherer Einblick


Dieses Essay ist in erster Linie als Fortführung und Erklärung der Abweichungen vom offiziellen, kanonischen "München Noir"-Hintergrund gedacht, den man im Shadowhelix-Artikel zur Stadt nachlesen kann, und der  bis ins Jahr 2061 reicht. Hier ein weiterführender Blick auf das gegenwärtige Setting der Runde, und wie es zu diesem ganzen Schlamassel kam.


Während die Konzern- und Matrixlandschaft der Landeshauptstadt in den 2060ern noch von Renraku Computer Systems (mit ihrer Europa-Arkologie in Thalkirchen), NeoNet und Novatech beherrscht wurde, und Seader-Krupp mit seinen Tochterunternehmen BMW und Aetherlink zurück- und vor allem unbeliebt- blieb, markierte das Ende der Dekade in Mehrfacher Hinsicht einen Umbruch. Aber Eins nach dem Anderen.

©Future Warsaw by artificialdesign
Die Dynamik der zunehmend fremdkonzernfeindlichen Bevölkerung und Lokalprominenz wurde zunächst über einen Großeinkauf in die Neuen Bavaria Simsense Studios von S-K in freundlichere Bahnen gelenkt. ‚Ein Großkonzern macht sich beliebt? Als ob!‘, lautet die nahe liegende Antwort auf diese Ansage, und die Wahrheit ist natürlich nuancierter. Eine durchschlagende Erkenntnis hatte sich Mitte der 60er im Upper Management von Saeder-Krupp durchgesetzt: Die Steuerung der seriösen Trideomedien und damit der Nachrichtenkanäle war in der Vergangenheit eher ab- als zuträglich für den Megakon gewesen, da hatte auch Aetherlinks Pionierrolle bei der Etablierung des AR-Netzes und der WiFi-Matrix dem Image des Megakons nicht weitergeholfen. Der erste Schritt der Umgestaltung der Münchner Wirtschaftslandschaft war also ein großangelegter Einstieg in die Unterhaltungsmedien und die damit Einhergehende inhaltliche Kontrolle zur Meinungsmache in der Bevölkerung. Die Isarmetropole hatte an diesem Punkt Dekaden des brodelnden metamenschen- und freiheitsfeindlichen Terrors hinter sich und genug von diesem Image, aber der inhärente Überlegenheitskomplex und die sprichwörtliche Grantigkeit der Münchner brauchte damit nur neue Ventile, was man in gewissen, wesentlichen Schichten, zu einer Art Wirtschaftsxenophobie hochschaukeln konnte. Klar sind alle Kons scheiße, aber verdammt noch mal, BMW ist UNSER Scheißkon, sozusagen. Mehr noch: Unter der Oberfläche soll es zusätzlich zu einer großangelegten Umwerbung der entertainmentfixierten, BTL-spezialisierten Grauen Wölfe, der Türkischen Maffiya gekommen sein. Die Herzen der Münchner würden über Unterhaltungsmedien, nicht über seriöse Programme gewonnen werden. Oder sagen wir... erschlossen.

Als S-K zeitgleich Aethernet im Zuge seiner Umstrukturierungsmaßnahmen abstieß sah es nach Kapitulation aus, und je sympathischer S-K als deutscher Großkonzern und BMW als Traditionsunternehmen der Population damit wurden- die großen Internationalen verdrängten da schließlich gerade die Lokalgrößen- desto mehr tat die Konzernführung, gegen Ende des Jahrzehnts, diesen Eindruck medial zu stützen. Und letztlich taten sie das auch realpolitisch: Mit dem Mammutprojekt Olympiakologie.
Das neuzeithistorisch und astral durch Terroranschläge schwer belastete Olympiagelände bis zum Petuelring wurde zur Baustelle eines gewaltigen Projekts, das auf einen Schlag tausende Arbeitsplätze schaffte, eine immense ökologischen, magische und materielle Abriss- und Reinigungsaktion beinhaltete, und in der Peripherie reichlich Denkmäler, Low-Budget-Habitatzonen und Wirtschaftsaufschwung schuf. Die Investition war für S-K war gewaltig, aber ihr Erfolg sprach für sich: In wenigen Jahren hatte der Megakon sein Münchner Image auf den Kopf gestellt, seine Tochter BMW in die Abteilungen Group, Automotive & Heavy Industries, Bank und Sports & Racing diversifiziert und imagetechnisch wie auch wirtschaftlich neu positioniert. Und nebenbei beachtliche Teile von Münchens Licht- und Zwielichtpopulation als zähneknirschende, heimliche Sympathisanten gewonnen.

Shadowrun New Saeder-Krupp Logo (2075) by raben-aasAngesichts des explodierten Einflusses von S-K auf die organisierte Kriminalität der Stadt über die Grauen Wölfe, oder sagen wir mal ihres konstruktiven Duldungsverhältnisses, überraschte es am Ende kaum jemanden, als es der Megakon nach langem, halblegalen Ringen schaffte, sich mit 49% Anteilen am führenden Sicherheitsunternehmen Schwarze Sheriffs eine Sperrminorität zu sichern, und damit die Fronten gegenüber Renraku Europa endgültig zu zementieren, die sich fatalerweise ein paar Monate zu lange auf ihrem Triumph im seriösen digital- und Netzwerksektor ausgeruht hatten, um Saeder-Krupps rasanten Wiedereinstieg in der Landeshauptstadt bremsen zu können.
Seien wir ehrlich: Hier offenbarte sich die Gegenleistung des Kuhhandels mit Münchens organisierter Kriminalität. Die Lähmung des zwischen zwei konkurrierenden Megakons aufgeteilten Polizeidienstleisters eröffnete zugleich den Wölfen neue Möglichkeiten, sicherte sie ab, riss aber auch einen neuen Markt für kleinere Sicherheitsunternehmen auf, wovon wieder die Wirtschaft profitierte. Die alt und fett gewordenen Sheriffs sangen indessen zu laut unter ihrer Gelddusche um sich an der Konkurrenz zu stören. Und begannen nebenbei auch, auf den Autobahnringen und Schnellstraßen um München ein Auge zuzudrücken, als die BMW-Panzerkarossen sie für sich eroberten. Nichtiges Detail? Nicht ganz.

Dieser ganze Imagemarketing-Coup gipfelte nämlich in einem merkwürdigen Phänomen und gebar eine dubiose Tradition in der reformierten BMW Group.

Vorgeschichte? Vorgeschichte. Im Investmentsektor war in der vergangenen Dekade innerhalb mehrere Megakons, kontrastierend zu ihren weniger Eigeninitiative, Killerinstinkt und Personaldurchfluss fördernden Abteilungen, eine selbst für internationale Riesen extrem radikale Praxis aufgekommen. Kämpfe. Ausscheidungskämpfe, Pitch-Battles, Schlichtungsgefechte, ob nun in den tiefen Opfergruben der Aztechnology-Arkologien oder in den Matrix-Intra-Hosts von Novatech, kamen in Mode. Klingt krank, ist es auch, und doch so naheliegend, und das obwohl die Megakons doch so berühmt und berüchtigt dafür sind, ihr Middle- und Upper-Management augapfelmäßig zu hüten.
Doch gute, agierende Investmentbanker müssen vor allem vier Dinge mitbringen: Kreativität, Gier, Gewissenlosigkeit und ein Übermaß an Verwegenheit. Ersteres brennt ohnehin schnell aus, Zweiteres ist für ihre Arbeit notwendig, führt aber dazu dass man sie gar nicht mehr als ein paar gute Jahre halten will, ehe sie überambitioniert werden. Dritteres ist nötig um die eigenen Ideen und Konzepte, deren Sahnehäubchen schon mal großangelegte Bauernopfer und interne wie auch externe Intrigen erfordern, auch eigenhändig in die Wege zu leiten und zum Erfolg zu führen. Und weshalb Investmentbanker einen gewissen Todesmut und eine eigentlich untpyische Eigeninitiative und Risikobereitschaft mitbringen müssen bedarf keiner weiteren Erklärung.
Gerade Juniorpartner, Partner und Seniorpartner verfügen über eigene Stäbe, Budgets und ein gefährlich hohes Maß an Autonomie, um schnell genug auf den Finanzmarkt zu reagieren. Wenn zwei Kontinente weiter ein Bürgerkrieg ausbrechen muss um zwei Plexe weiter den Umsatz einer schwächelnden Rüstungsfirma anzukurbeln- Eventuell aus strategischen Gründen einer konkurrierenden- dann muss das eben geschehen, und zwar schnell. Zugleich bringt eine dermaßen eskalierende Branche auch das Risiko übereifriger, brillanter Emporkömmlinge und unüberlegter Geschäftsschädigung mit sich, und auch darum kümmert sich eine gesunde Kampfpraxis- jeder wird mal alt, und es mangelt nie an Bewerbern, die von unten nachrücken, gerade wenn der Vorstand einen der Partner für Herausforderungen freigibt. Im besten Fall eine ärgerliche Mahnung, im schlimmsten der schnelle Tod auf der Straße. Denn in Härtefällen passieren selbst bei nichttödlich angemeldeten Ausscheidungen… Unfälle.
Ihr seht: Ein selbstregulierendes Brutbecken für Brutalo-Wirtschaftspolitik, das ganz nebenbei die Rechtsabteilungen permanent auf Trab hält, um einen ständig fluktuierenden, schmalen Grat zwischen effizientem Wirtschaftsdarwinismus und dem Zusammenbruch jeglicher konzerninternen Zivilisiertheit und Etikette immer wieder neu zu definieren.

SOUTH_TOWN_08 by donmalo
©SOUTH_TOWN_08 by donmalo
Zurück zu München und den BMW-Bank-Investmenthaien: Die Münchner wählten den Straßenkampf mit ihren aufgemotzten, gepanzerten Firmenwagen, und es war weniger eine bewusste Entscheidung als ein natürlicher Prozess. Die Süd-ADLer lieben ihre Kampfkarossen, und lieben es, zur Arbeit zu fahren. In diesen Luxusgefährten gehören die Autobahnen und Ringe, die sich zur Rush Hour und auch drumherum mehr und mehr für diese Platzhirsche leeren, spätestens seit die Sheriffs effektiv gelähmt wurden, so gut wie unumstritten ihnen… und bieten zugleich den perfekten Turnierplatz für spontane wie auch formelle Auseinandersetzungen unter Kollegen und Konkurrenten.

Und der Coup? München hassliebt sie dafür. Vom ersten Tag an, an dem diese feinen Krawattenpinkel, diese KonzernSINner, diese unleidige Schickeria, ihre kleinen und großen Dispute explosiv, laut, spektakulär, feurig und blutig auf den Straßen auszutragen begann, hatte der Sprawl auf der Stelle eine neue Eventkultur entwickelt. Sei es weil es jeder liebt die Schweine bluten und sterben zu sehen, sei es zähneknirschender Respekt dafür dass diese Existenzvernichter und Weltwirtschaftslenker sich in aller Sim-übertragenen Halböffentlichkeit unter Lebensgefahr spektakulär beweisen müssen, ehe sie jedermanns Leben versauen dürfen wie es Megakons sowieso tun- Und auch danach in konstanter Gefahr von unten schweben… oder offen zur Schau gestellte Blutsportbegeisterung: Die Massen fahren voll ‘drauf ab und beginnen sich mit diesen schillernden Figuren und Charakteren sogar zu identifizieren.
Es gibt Übertragungsevents, Trideo-Realityshows, illegale SinnSim-Aufzeichnungen der Kämpfe (mit denen die grauen Wölfe einen beachtlichen Profit einfahren), Wettbüros, Starkult mit Fanartikeln und Vorabendsendungen und Guerillablogger, welche sich in der Hoffnung, spontan ausbrechende Kämpfe zwischen Investmentbankern unter sich oder BMWlern und selbstmörderischen Go-Gangern, live mitzuerleben und zu übertragen, selbst auf die Straßen wagen.
Ob nun Marketingstrategie mit Zukunft oder flüchtige Mode- Einige Experten behaupten, die Sparte BMW Bank wäre unter dem konzerninternen Konkurrenzdruck durch Commerzbank und Deutsche Bank längst abgeschmiert, gäbe es die Straßenkämpfe nicht.

Passt das Alles kurzfristig ausgezeichnet in das gehirnwaschende neue Medienkonzept von Saeder-Krupp zur Eroberung des Marktes München? Auf jeden Fall. Hat das ganze Modell langfristig Zukunft? Vielleicht. Ist es gut für die ohnehin kaum vorhandene Geschäftsethik der Megakons und ihre Mitarbeiter? Sicher nicht. Ist es eine irre Show?

Hölle, ja.



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